überflutete Piazza San Marco in Venedig
IMAGO/Andrea Merola
Klimastudie

Venedig drohen schwere Überschwemmungen

Der Klimawandel verheißt Venedig eine verheerende Zukunft. Auch wenn die Lagunenstadt schon immer mit Wasser zu kämpfen hatte: Neue Forschungsergebnisse gehen davon aus, dass das mobile Dammsystem MOSE sie nur noch wenige Jahrzehnte vor dem unaufhaltsam steigenden Meeresspiegel schützen kann. Intensität und Häufigkeit der Überschwemmungen würden kontinuierlich zunehmen und bis 2150 ein kritisches Ausmaß erreichen. Große Teile der Stadt stünden dann dauernd unter Wasser.

Das italienische Institut für Geophysik und Vulkanologie (INGV) erarbeitete auf der Grundlage der aktuellsten Klimaprognosen mögliche Überflutungsszenarien. Die ergeben sich in den Jahren 2050, 2100 und 2150, wenn keine weiteren Systeme zum Schutz der Lagune vor einem höheren Meeresspiegel als heute errichtet werden sollten.

„Die Untersuchung wurde mit dem Ziel durchgeführt, Informationen über die nächste Entwicklung des Meeresspiegelanstiegs in der Lagune von Venedig zu liefern, um zu verstehen, wie sich dieser auf eine der symbolträchtigsten Städte der Welt auswirken könnte“, sagte der INGV-Forschungskoordinator Marco Anzidei.

Lagunenstadt versinkt und ertrinkt

„Die Daten deuten darauf hin, dass Entscheidungsträger und lokale Behörden so schnell wie möglich ihre Raumplanungs- und Risikopläne aktualisieren und konkrete Maßnahmen zum Schutz Venedigs und seiner Lagune ergreifen müssen“, forderte Anzidei. Die lokale Bevölkerung müsse informiert und auf extreme Ereignisse vorbereitet werden.

überflutete Piazza San Marco in Venedig
APA/AFP/Marco Sabadin
Der Markusplatz könnte dauerhaft unter Wasser stehen

Die vom italienischen Ministerium für Universitäten und Forschung finanzierte Studie zeigt, dass der Anstieg des Meeresspiegels in der Lagune seit historischen Zeiten zu beobachten ist und dass die Anfälligkeit heute durch die Auswirkungen des Klimawandels noch verstärkt wird. Hinzu kommt die kontinuierliche Absenkung des Bodenniveaus unter der Stadt, die sieben Millimeter im Jahr beträgt. Venedig ertrinke nicht nur, sondern versinke gleichzeitig.

Die tiefer gelegenen Bereiche der Lagune wären stärker der Gefahr von Überschwemmungen ausgesetzt, was schwerwiegende Folgen für die Infrastruktur an der Küste und die wirtschaftlichen Aktivitäten hätte. "Der Anstieg des Meeresspiegels, insbesondere wenn er lokal durch Bodensenkungen beschleunigt wird, führt zu einer immer stärkeren und weitverbreiteten Küstenerosion, zu Strandrückgang und Überschwemmungen mit erheblichen ökologischen und sozioökonomischen Auswirkungen für die Bevölkerung und das historische Erbe der Stadt“, sagte Anzidei.

Worst-Case-Szenario

Das Weltkulturerbe drohe unwiederbringlich zu verfallen. Gegen Ende des Jahrhunderts werde der mittlere Meeresspiegel von 60 Zentimetern überschritten, so die Studie. Zum Vergleich: Der Markusplatz liegt nur 80 Zentimeter über dem Meeresspiegel. Eine Erhöhung um wenige weitere Zentimeter würde bedeuten, dass der Markusplatz dann dauerhaft unter Wasser stünde.

„Nach dem Worst-Case-Szenario könnte der Meeresspiegel im Jahr 2150 bei extremen Hochwasserereignissen, wie sie 1966 und zuletzt 2019 aufgetreten sind, bis zu 3,47 Meter über den Referenzwert der Pegelstation Punta della Salute im Giudecca-Kanal steigen“, schreiben Tommaso Alberti und Daniele Trippanera, beide Forscher beim INGV und Autoren der Studie.

Hochwasserschutz MOSE
APA/AFP/Andrea Pattaro
Das mobile Dammsystem MOSE ist für außergewöhnliche Ereignisse konzipiert, nicht für den unaufhaltsamen Anstieg des Meeresspiegels

Aufgrund dieses außergewöhnlichen Wasseranstiegs würde das Gebiet, das überflutet werden könnte, bis zum Jahr 2150 rund 139 Quadratkilometer erreichen, mit einer Ausdehnung, die bis zu 226 Quadratkilometer betragen könnte. Daraus ergibt sich, so die beiden Forscher, dass „Venedig ohne weitere gezielte Maßnahmen stärker von Überschwemmungsphänomenen betroffen sein wird“.

Dammsystem MOSE stark belastet

Die Untersuchungen haben gezeigt, dass der Meeresspiegel die Leistungsfähigkeit des MOSE-Systems übersteigen kann, das Venedig vor Hochwasser bis zu drei Meter Höhe und vor einem Meeresspiegelanstieg von bis zu 60 Zentimetern schütze. Die Barriere besteht aus 78 Metalltoren – jeweils 30 Meter hoch, 20 Meter breit, fünf Meter dick und 250 Tonnen schwer –, die bei Flut vor der Lagune hochgezogen werden. Der Name ist an den biblischen Propheten Moses angelehnt, der wie die Anlage auch Wasser teilte.

Jahrzehntelange Planung, eine jahrelang verzögerte Fertigstellung, Korruption und stolze sieben Milliarden Euro Kosten gingen der Fertigstellung von MOSE im Jahr 2020 voraus. Ein Minister wurde zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, auch eine Finanzholding der Familie Berlusconi war am Bau beteiligt. Zudem wurde die Effektivität des Systems seit Planungsbeginn infrage gestellt.

Immer häufigere Schließungen der Barriere hätten auch Auswirkungen auf das Ökosystem der Lagune. Werden die Tore hochgefahren, halten sie nicht nur das Hochwasser ab, sie schränken auch den Wasseraustausch zwischen der Lagune und dem Meer ein. Umweltschützer hatten bereits während der Bauphase davor gewarnt, dass sich die Stadt durch das fehlende Meerwasser in eine Kloake verwandelt.